Geschlechtsbezogene Gesundheitsversorgung und Politik

Zum jüngsten Beschluss des Bayerischen Landtags in Bezug auf Behandlungen bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie

Am 5. November 2024 stimmte der Bayerische Landtag in einer Plenarsitzung mit den Stimmen der Fraktionen CSU, Freie Wähler und AfD für einen Antrag mit dem Titel „Transitionstherapien nur in Ausnahmefällen“. In dem Landtagsbeschluss wird die Staatsregierung aufgefordert, „sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass sogenannte transaffirmative Behandlungen von Minderjährigen mit Pubertätsblockern, Hormontherapien oder geschlechtsverändernden Operationen nur in Ausnahmefällen möglich sind“. Die Beschlussempfehlung wurde von Abgeordneten der CSU und der Freien Wähler eingebracht und vom federführenden Ausschuss für Gesundheit, Pflege und Prävention weiter ausgearbeitet. In der Plenarsitzung am 5. November wurde sie nicht einzeln diskutiert, sondern reihte sich in den Tagesordnungspunkt der "Abstimmung über Anträge, die gem. § 59 Abs. 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden", ein. Eine öffentliche Reaktion auf den fragwürdigen Landtagsbeschluss durch Medienberichterstattung ist weitgehend ausgeblieben.

Bereits im Mai hatte eine andere Art Parlamentsbeschluss in Bezug auf die Behandlung von Geschlechtsdysphorie für Irritationen gesorgt. Der Deutsche Ärztetag, der sich selbst als das „Parlament der Ärzteschaft“ bezeichnet, hatte auf seinem 128. Jahrestreffen in Mainz einen Beschluss verabschiedet, der darauf abzielt, transaffirmative Behandlungen von Minderjährigen empfindlich einzuschränken. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass der Deutsche Ärztetag eine Versammlung von Ärzt_innen ohne ausgewiesene Expertise oder Erfahrung in der Behandlung von transgeschlechtlichen Minderheiten bzw. Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie ist.

Beide Vorgänge, auch wenn sie in ihrer Singularität zunächst wenig faktische Wirkung haben und eher Symbolpolitik darstellen dürften, halten wir für besorgniserregend. Sie sind Negativbeispiele einer politischen Instrumentalisierung der geschlechtsbezogenen Gesundheitsversorgung, wie sie in anderen Staaten bereits drastisch zutage tritt.

Außer Acht gelassen wird in den Beschlüssen des Bayerischen Landtags und des Deutschen Ärztetags, dass sich aktuell eine medizinische Leitlinie zur Behandlung von transgeschlechtlichen Minderjährigen am Ende der Konsentierungsphase durch die beteiligten medizinischen Fachgesellschaften befindet. Diese fundierte Expertise einschlägiger medizinischer Fachgesellschaften wird entweder ignoriert oder ist den Beteiligten nicht einmal bekannt. Es ist aber in Deutschland üblich, dass sich medizinische Fachgesellschaften gestützt auf die wissenschaftliche Literatur darauf verständigen, wie – nach dem aktuellen Kenntnistand – die beste Therapie erfolgen sollte. Leitlinienempfehlungen auf Basis des aktuellen Kenntnisstands und unter Beteiligung der versiertesten Behandler_innen in dem jeweiligen Feld können sich selbstverständlich ändern, so wie sich Evidenz und Erfahrung fortlaufend konkretisieren und nachschärfen können. Jedoch ist es weder Aufgabe der Politik noch die Aufgabe und Expertise des Deutschen Ärztetags, populistische Befindlichkeiten über etablierte, langjährige Verfahren der Entwicklung medizinischer Leitlinien zu stellen. Und sie sollte es auch zukünftig nicht sein. Man stelle sich nur vor, der Bayerische Landtag oder der Deutsche Ärztetag würden beschließen, dass eine beliebige andere notwendige medizinische Behandlung, auf die sich die Fachgesellschaften geeinigt haben – zum Beispiel die Therapie depressiver Erkrankungen – den Betroffenen vorenthalten werden solle. Man kann sich die Empörung vorstellen. Auf Kosten von geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten scheint dies jedoch für einige Personen opportun zu sein.

Dass man mit der Politisierung von geschlechtsbezogener Gesundheitsversorgung sogar Wahlen gewinnen kann, zeigt der aktuelle Blick in die USA. Wir erleben dort, wie in einigen anderen Ländern auch, durch die massive Einschränkung von Abtreibungsrechten einen besorgniserregenden Rückschritt bei geschlechtsbezogenen Rechten. Dieser Trend sollte uns eine Warnung sein, besonders wachsam zu sein, wenn aus politischem Kalkül Ängste bedient und bestehende und erkämpfte Rechte zu unterminieren versucht werden. Wiederholt in der Geschichte wurden sexualitäts- und geschlechtsbezogene Themen zum Gegenstand von Wahlkampf. Politische Interessen gefährden die Gesundheitsversorgung und Rechte von Jugendlichen, Minderheiten, Frauen und anderen Gruppen, wenn auf Kosten dieser Menschen Ängste in der Bevölkerung geschürt werden, um Wähler:innenstimmen zu gewinnen.

Restriktive Forderungen lenken von der notwendigen Unterstützung transgeschlechtlicher Jugendlicher ab und verschlimmern deren psychisches Leid durch Tabuisierung und Diskriminierung. Eine Empfehlung, die darauf abzielt, den Zugang zu medizinischen Behandlungen zu erschweren, blendet die komplexen und individuellen Bedürfnisse dieser Heranwachsenden aus und bedroht ihre Freiheit und ihr Recht auf Selbstbestimmung. Wir verurteilen diese Tendenzen vehement und appellieren, sich dieser rückschrittlichen politischen Agenda zu widersetzen.

Prof. Dr. Johannes Fuß (Essen) & Prof. Dr. Richard Lemke (Merseburg)

für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung

 

Für Rückfragen:

Prof. Dr. Johannes Fuß
Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung
Universität Duisburg-Essen
Postfach 103043
45030 Essen
fuss@dgfs.info

Prof. Dr. Richard Lemke
Professur für Methoden der Empirischen Sozialforschung
Hochschule Merseburg
Eberhard-Leibnitz-Str. 2
06217 Merseburg
lemke@dgfs.info